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Autor: Marc Wintersohle

Alte Heimat, neue Heimat – SchülerInnen berichten (I)

Am Carl-Reuther-Berufskolleg in Hennef treffe ich täglich viele Schülerinnen und Schüler mit interessanten Biografien, die aus unterschiedlichen Ländern zu uns gekommen sind. Sie leben alle an anderen Orten, besuchen verschiedene Bildungsgänge und Schulbereiche. Jedoch eint sie ihre Motivation, die deutsche Sprache zu erlernen, berufliche Wünsche zu verwirklichen und hier ein neues Zuhause zu finden. Von Eva Zoske-Dernóczi

Flucht vor einer Zwangsheirat

Die zwanzigjährige Sahar (Name geändert) kam vor zwei Jahren aus dem Iran nach Deutschland. Sie besucht unser Berufskolleg, um ihre Fachoberschulreife nachzuholen, die sie eigentlich durch ihre iranische Schulzeit längst besitzt, da sie im Iran kurz vor dem Abitur stand. Sie vermisst ihre alte Heimat nicht, „nur meinen Vater vermisse ich ab und zu, auch weil wir kaum Kontakt haben dürfen. Denn er ist dortgeblieben, weil er seine alten Eltern versorgen muss“, so Sahar. Ihre Mutter floh mit ihr und ihrem Bruder aus dem Iran, weil „Frauen keinen Wert haben. Frauen sind nur da, um Kinder zu gebären. Die Regierung schreibt vor, dass die Männer der Familie entscheiden, ob die Frauen studieren oder arbeiten dürfen. In meiner Familie war es so, dass sie mich zwingen wollten, die Schule abzubrechen, um zu heiraten. Da meine Mutter bereits dasselbe Schicksal erlitten hatte, wollte sie das bei mir verhindern, daher sind wir geflohen.“ Sahars Mutter hatte viele Probleme mit ihrem eigenen Vater, der sie schlug und sie sehr jung verheiratet hatte, daher wollte sie, „dass wenigstens wir in Freiheit leben können“, so Sahar.  

Tarnung der Flucht als Rundreise durch Europa

Sahars Mutter hatte die Flucht aus dem Iran als Rundreise durch Europa getarnt: „Meine Mutter tat der Verwandtschaft gegenüber so, als würden wir einfach eine Reise machen und dann zurückkehren. Wir waren erst in Ungarn, dann in Österreich und dann in Deutschland. In Frankfurt gingen wir heimlich vom Reiseveranstalter weg und stellten dann einen Asylantrag. Nach dem Flüchtlingscamp kamen wir in ein Asylheim.“ Was Sahar als sehr schwierig erlebte, war vor allem diese Anfangszeit in Deutschland, denn durch die Pandemie half niemand bei der Suche nach einer Wohnung, dem Sozialamt oder Deutschkursen. Sie mussten selbst alle Ämter finden, suchten zum Teil stundenlang danach, weil sie durch die Sprachbarrieren große Schwierigkeiten hatten, nach dem Weg zu fragen. Eins fällt auf, wenn man mit Sahar spricht, dass sie sehr schnell und gut Deutsch gelernt hat und sehr wachsam und aufmerksam zuhört. Als ich sie auf ihre guten Sprachkenntnisse anspreche, antwortet sie lächelnd: „Ich bin jetzt der Vater der Familie. Meine Mutter spricht noch nicht so gut Deutsch, daher muss ich jetzt alles machen: Anträge ausfüllen, zu Ärzten mitgehen und übersetzen, die Dokumente vom Sozialamt und der Ausländerbehörde ausfüllen.“ Es gab dann doch eine Schulleiterin, die Sahar und ihrer Familie half, die richtigen Behörden anzurufen und Termine zu vereinbaren, aber insgesamt waren die letzten zwei Jahre sehr anstrengend und herausfordernd.  

Durch das Jugendamt gab es schöne Erlebnisse

Durch ein Jugendamt konnten sie in den letzten zwei Jahren dann doch auch ein paar gute Erlebnisse sammeln: Ausflüge machen, die ihr ihre Mutter nicht hätte bezahlen können und die für sie und ihren Bruder wichtig waren. Für diese Erlebnisse ist sie sehr dankbar: „Wir waren z.B. im Phantasialand, haben Ausflüge unternommen, gemeinsam gekocht oder sind Skatboard gefahren, das war toll“, schwärmt sie.

Meinungsfreiheit, Fahrrad fahren und selbstbestimmt leben

Noch hat ihre Familie den Aufenthaltsstatus der Duldung, was das Leben der Familie einschränkt. Zum Beispiel müssen sie diesen Status alle sechs Monate erneuern, dürfen keinerlei Verträge abschließen und müssen immer vor Ort bleiben. Aber Sahar hofft, dass sie bald die gute Nachricht erhalten, hier bleiben zu dürfen. Im Iran war ihr Traum Pharmazie zu studieren, um Apothekerin zu werden. Aber jetzt hat sie einen großen Gefallen an Informationstechnologie bekommen und liebt Mathe und Physik, „zumal man dafür nicht so viele Sprachkenntnisse benötigt, Mathe ist sozusagen wie eine eigene internationale Sprache“. Heimat ist nach Ansicht Vieler der Ort, an dem man geboren wird, aber für Sahar ist es der Ort, „an dem man sich wohlfühlt und Menschen nicht nach ihrem Geschlecht bewertet werden. Für mich ist Deutschland meine Heimat, weil ich hier als Frau einen Wert habe, während im Iran nur Männer einen Wert haben.“ Was sie an ihrer neuen Heimat Deutschland genießt ist die Meinungsfreiheit und die Freiheit gerade als junge Frau: „Ich kann alle Bücher lesen, die ich möchte und ich kann Fahrrad fahren. Das genieße ich so. Im Iran dürfen Frauen kein Fahrrad fahren, nur weil Männer sagen, dass man dann die Figur einer Frau genau sehen kann und sie das nicht wollen!“ Sie möchte unbedingt hier in Deutschland eine neue Heimat finden und ist dankbar, dass ihre Mutter vor zwei Jahren so eine mutige Entscheidung für sie und ihren Bruder getroffen hat.

„Carl Reuther lacht Nr. 1“ – Mit Comedy gegen Vorurteile und Diskriminierungen

Endlich hat es geklappt. Durch die Pandemie musste leider bereits zweimal die geplante Comedy-Veranstaltung abgesagt werden (sowohl 2020 als auch 2021), weil die Form der Veranstaltung (Bühnenprogramm mit Publikum) leider nicht pandemietauglich ist. Das Datum wurden nun auf den Juni vorverlegt und konnte endlich erfolgen.

Ernste Themen humorvoll verpackt

Die vier Comedians: Sertaç Mutlu, Lukas Wandke, Timur Turga und Djavid kamen am 22. Juni zur Schule und haben insgesamt ca. 500 Schülern in zwei Runden ein humorvolles Programm geboten. Am Ende standen sie auch für ein Gespräch mit der Schülerschaft Rede und Antwort. Alle sind bereits durch TV-Formate wie „Quatsch Comedy Club“, „ZDFneo“, „1Live“, „Rebell Comedy“ oder “Nightwash“ bekannt. Ein weiterer junger Comedian und Moderator, Timo Klebanowski unterstützte die Leiterin der Courage Schul-AG, Eva Zoske-Dernóczi, bei der Moderation. Schulpfarrerin Eva Zoske-Dernóczi, die die AG Courage Schule leitet, hatte alle vier Comedians persönlich nach deren Auftritten auf Bonner Bühnen angesprochen und darum geworben in ihrer Schule aufzutreten. „Denn Lachen verbindet, wenn man miteinander und nicht übereinander lacht!“, so Zoske-Dernóczi. „Stereotype hinterfragen, Klischees und Vorurteile abbauen, das sollte das Programm bewirken und das hat es auch geschafft“, resümiert der 20-jährige Akar, der mit seinen Klassenkameraden Banu und Ledian die Veranstaltung besucht hatte.    

Die innere Überzeugung war auch bei den Comedians zu spüren

Dem 17-jährigen Ledian gefiel, dass alle vier Comedians „so ein großes und komplexes Thema wie Diskriminierung auf eine lustige Arte und Weise dargestellt haben“. Vor allem der Auftritt von Timur Turga gefiel den drei Schülern sehr, „da er erblindet ist und in seinem Bühnenprogramm deutlich macht, wie viele Vorurteile ihm täglich begegnen“, so Ledian. „Durch seine Erzählungen versteht man, dass man schnell in eine Schublade gesteckt werden kann, zum Beispiel, dass viele Menschen denken, dass er, nur weil er blind ist, hilflos ist und ihm Hilfe aufgezwungen wird, um die er gar nicht gebeten hat“, so die 21-jährige Banu. Thore Held, SV-Lehrer der Schule, freute sich über „den außerordentlichen Einsatz der Künstler und der Courage AG, weil man merkte, dass alle das Ganze aus einer inneren Überzeugung heraus gemacht haben. So kamen Jung und Alt für eine gute Sache zusammen und haben zusammen gelacht“, was ihm sehr gefiel. Das Carl Reuther Berufskolleg gehört seit

Seit 2018 Teil des bundesweiten Netzwerkes „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

Es geht bei der Initiative nicht nur um Rassismus, wir machen uns als „Courage Schule“ gegen jede Form der Diskriminierung stark. Bei über 2600 Schülerinnen und Schüler, 110 Lehrerinnen und Lehrern und insgesamt 53 Nationalitäten bedarf es vieler gemeinsamer Aktionen, um diese Werte in Taten umzusetzen, das Schulklima zu verbessern und über den Tellerrand einzelner Fächer hinauszuschauen. Seit 2018 gab es mit großem Erfolg jährlich stattfindende Projekttage, an denen vielen Referenten unterschiedliche Themen behandelten. Auch gab es andere Aktionen, wie z.B. den Bau von 16 Bänken zum 40. Jahrestag des Internationalen Tages zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt gegenüber Frauen, auch bekannt als „Orange Day“ (25.11.2021). Der Evangelischen Kirchenkreis An Sieg und Rhein hatte durch eine finanzielle Unterstützung die Aktion: „Carl Reuther lacht…“ möglich gemacht, da der Kirchenkreis die Anti-Diskriminierungsarbeit der Schule fördern möchte, wofür die Schüler- und Lehrerschaft sehr dankbar ist.