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Alte Heimat, neue Heimat – SchülerInnen berichten (V)

Am Carl-Reuther-Berufskolleg in Hennef treffe ich täglich viele Schülerinnen und Schüler mit interessanten Biografien, die aus unterschiedlichen Ländern zu uns gekommen sind. Sie leben alle an anderen Orten, besuchen verschiedene Bildungsgänge und Schulbereiche. Jedoch eint sie ihre Motivation, die deutsche Sprache zu erlernen, berufliche Wünsche zu verwirklichen und hier ein neues Zuhause zu finden.

von Eva Zoske-Dernóczi

Waissuddin besuchte bei uns das Berufliche Gymnasium für Technik, hat 2022 die Allgemeine Hochschulreife erlangt und studiert nun Maschinenbau. „Technik reizt mich sehr, ich möchte gerne in der Zukunft in der Autoindustrie tätig sein.“  Er kam 2015 mit seiner Familie aus Afghanistan, aus der Hauptstadt Kabul, die mit rund 4,3 Millionen Einwohnern die größte Stadt dieses Landes ist. Er war damals 16 Jahre alt und floh zusammen mit seiner Mutter und seiner älteren Schwester und berichtet darüber: „Meine Schwester war damals bereits als Lehrerin tätig, wie mein Vater. Heute arbeitet sie als Zahnmedizinische Fachangestellte. Mein Vater ist leider sechs Monate, bevor wir fliehen konnten, verstorben.“

Die neue Heimat ist Lohmar 

Interessant ist, dass Waissuddin Deutschland als seine Heimat ansieht, „weil ich Afghanistan nicht vermisse. Unser Alltag bestand dort vor allem aus Krieg und Unfreiheit. Das Bild, was ich von Afghanistan habe, ist sehr unschön. Jetzt ist es noch schlimmer geworden, seit die Taliban an der Regierung sind.“ Daher ist er dankbar, in Lohmar in Frieden mit seiner Familie leben zu können. Natürlich war es schwer, Verwandte und Freunde zu verlassen, trotzdem ist er froh, dass er zumindest einige Verwandte in Deutschland hat, die seit ca. 20 Jahren in Frankfurt leben. Wenn er an seine Kindheit denkt, vermisst er eigentlich nur Feste mit seiner großen Familie wie zum Beispiel das Zuckerfest am Ende des Fastenmonats Ramadan, „aber jetzt hat meine ältere Schwester eine gute Vollzeitstelle, wir haben Freunde gefunden, wir möchten somit gar nicht mehr wegziehen. Lohmar ist unser Zuhause geworden.“

Sprachenvielfalt als Gewinn

Waissuddins Muttersprache ist Persisch, in der Schule lernte er damals Englisch und Arabisch, im Beruflichen Gymnasium hatte er neben Deutsch noch Spanisch gelernt. Durch seinen Vater hat er einen sehr offenen Umgang mit anderen Menschen erlernt: „Mein Vater hat als Lehrer immer offen seine Meinung gesagt, er hatte moderne Ansichten und hatte auch ab und zu Streit mit Kollegen, die engstirnig waren. Er hat auch als Dolmetscher in einem Krankenhaus gearbeitet, welches von Japanern erbaut worden war, daher sprach er viel Englisch.“

Die erlebte Hilfe ist groß, größer als der Rassismus

Waissuddin ist eine sehr freundliche Person, der allen Menschen mit Respekt begegnet. Diesen wertschätzenden Umgang erlebt er in der Regel auch von Deutschen. Ein einziges Mal hat er eine schlechte Erfahrung gesammelt, die sich aber gottlob nicht wiederholte. Seine Schwester und er waren zu den Verwandten nach Frankfurt gefahren und befanden sich auf dem Weg zurück nach Lohmar. Sie fuhren mit einem Flixbus nach Bonn, wollten dann weiter nach Siegburg, kauften eine Fahrkarte beim Busfahrer. Dieser hielt plötzlich zwei Stationen später an, gab ihnen ihr Geld zurück und warf sie aus dem Bus: „Er behauptete, unser Geld sei Falschgeld und schrie, er würde die Polizei rufen, wenn wir nicht aussteigen. Aus Angst sind wir ausgestiegen, heute weiß ich, dass das Rassismus war, aber wir waren naiv und konnten die Situation nicht einordnen.“ Als sehr positiv merkt er an, dass die gesamte Familie durch ehrenamtliche Flüchtlingshelfer viel Hilfe erfahren hat: „Wie man Dokumente ausfüllt, wie man eine Wohnung findet, wie man einen Deutsch-Kurs belegt“. Heute leben sie in einem Mehrfamilienhaus mit vielen Nationalitäten, mit den meisten haben sie einen sehr freundlichen Kontakt. Waissuddin liebt die Meinungsfreiheit, die in Deutschland herrscht und auch die Freiheit, seine Religion ohne Zwang ausüben zu können. „Das ist das Gute: man fastet und betet, weil man es aus eigener Entscheidung will, nicht weil man dazu gezwungen wird. Politik und Religion muss man trennen”, so seine Meinung.